Lean production goes digital: Worauf muss sich die produzierende Industrie vorbereiten?

Veröffentlicht 07.11.2018
Geschätzte Lesezeit 6 Min.

David Schonebeck Ehemaliger Manager Product Strategy d.velop Labs d.velop

Vor dem Hintergrund der Industrie 4.0 sehen sich Unternehmen damit konfrontiert, die Effizienz der eigenen Produktionsprozesse zu hinterfragen. Wie kann ich mit neuen Mitteln (neuen technischen Gegebenheiten) und vorhandenen Ressourcen (Maschinen & Personal) meine Prozesse noch weiter optimieren, um diese schlank, sparsam und effektiv zu gestalten?

Ein Ansatz hierfür ist sicherlich die Lean Production. Unter dem Begriff versteht man die Optimierung des Fertigungsprozesses von Industrieerzeugnissen mit dem Ziel der Einsparung von Arbeitskräften, Kosten und Materialien (z. B. durch Automation). Neben dem Fertigungsprozess werden auch weitere Prozesse wie Planung und Organisation optimal ausgerichtet, um beispielsweise die Qualität zu verbessern oder die Produktion zu flexibilisieren.

Doch viele Lean-Ansätze, vor allem im Bereich der Produktion, sind vielfach überholt und antiquiert. Sie passen nicht länger in eine Zeit, in der wir von Industrie 4.0 und fortschreitender Digitalisierung sprechen. [2] Das bisherige Lean Production Konzept muss deshalb „digital“ gedacht werden. Denn neue digitale Technologien und Trends bieten hier spannende Möglichkeiten für die produzierende Industrie – und das alles in einer rasanten Geschwindigkeit.

Ziel des Blogartikels ist es, zum einen ein Grundverständnis für die Begriffe Smart Factory und Digital Lean zu schaffen und zum anderen die dadurch resultierenden Herausforderungen im Umgang mit Massendaten aufzuzeigen.

Die Smart Factory steht im Mittelpunkt der Industrie 4.0

Zukünftig können Material, Systeme und Ressourcen (Kapazitäten) miteinander digital kommunizieren. Dies ermöglicht völlig aufeinander abgestimmte Arbeitsabläufe. Durch die Kommunikation dieser Kapazitäten untereinander, kann auch bei spontaner Planung noch ihr optimaler Einsatz sowie ihre optimale Auslastung in einer so genannten Smart Factory ermöglicht werden. Der Begriff Smart Factory lässt sich mit „intelligente Fabrik“ ins Deutsche übersetzen. Die Smart Factory steht dabei im Mittelpunkt der Industrie 4.0 und bezeichnet eine Produktionsumgebung, die sich selbst organisiert. Wie das funktioniert? Zum Beispiel kommunizieren Produkte zur Laufzeit mit Montagerobotern, sodass eine Farbe just in time abgeändert werden kann, intelligente Verpackungsmaschinen reagieren zur Laufzeit auf Veränderungen der Lieferadresse des Produktes, sodass die entsprechende Sprache ausgewählt wird oder ein Produkt unter- oder überschreitet eine gewisse Temperatur, sodass sich dieses eigenständig zum optimalen Temperatur-Anpassungsprozess anmeldet.
In vielen Fällen findet eine drahtlose Kommunikation zwischen Produkten und Anlagen statt. Die Kommunikationsgrundlage bildet dabei das Internet of Things (IoT). [3]

Aus Lean Production wird „Digital Lean Production“!

Prof. Dr. Carsten Feldmann, Vorstand des Instituts für Digitale Transformation in Münster, zielt in seiner Arbeit „Digital Lean – Mit dem Crossroads-Modell zu mehr Effizienz“ auf die Beschreibung, Erklärung und Gestaltung realer Produktions- und Logistiksysteme im Spannungsfeld zwischen Lean und digitalen Ansätzen der Industrie 4.0 ab.
Sein Referenzmodell beschreibt die wesentlichen Elemente von Steuerungsansätzen für Materialflüsse im Unternehmen.
Um einen Vergleich dieser Steuerungsansätze zu ermöglichen, nutzt der Autor ein simples Alltagsbeispiel: Die Verkehrsregelung einer Straßenkreuzung. Die Analogie zur Alltagssituation der Verkehrsregelung einer Straßenkreuzung ermöglicht eine anschauliche Erklärung.

Abbildung 1

Die charakteristischen Merkmale des Flusses an Verkehrsteilnehmern werden auf die Steuerung des Materialflusses in einem Wertschöpfungssystem übertragen. Die modellhaften Aussagen zur Entität „Verkehrsteilnehmer“ sind auf die Entitäten des Wertschöpfungssystems übertragbar, so etwa Bauteile oder Endprodukte. In diesem Blogbeitrag möchten wir lediglich die beiden Steuerungsansätze „Lean“ und „Digital Lean“ detailliert betrachten und gegenüberstellen.

Abbildung 2

Lean (vgl. Abbildung 2: Steuerungsansatz III „Lean“ ) bedeutet bedarfsorientierte Selbststeuerung wie zum Beispiel in einem Kanban-Regelkreis. Kanban ist eine Methode für die Bestandsführung und Produktionssteuerung, die auf dem Pull-Prinzip beruht und einen in sich selbst geschlossenen Regelkreis (Kanban- Regelkreis) darstellt. Bei dem Pull-Prinzip, auch ziehende Fertigung genannt, entnimmt der Verbraucher das für die Produktion benötigte Material bei seinem Lieferanten. Hat der Verbraucher eine zuvor festgelegte Kanban-Menge verbraucht, gibt dieser ein Signal an den Lieferanten in Form einer Kanban-Karte (jap. Kanban = Karte), die Kanban-Menge erneut zu produzieren. [4]

Demgegenüber basiert die Steuerung des Materialflusses in einer Smart Factory (vgl. Abbildung 2: Steuerungsansatz IV „Digital Lean“) auf digitaler Vernetzung und Sensorik. Dadurch können die Kapazitäten untereinander kommunizieren. Indem bewährte Lean-Konzepte mit neuen digitalen Ansätzen der Industrie 4.0 kombiniert werden, lässt sich der Wert für den Kunden weiter erhöhen. Beispielsweise lassen sich aufgrund der digitalen, echtzeitfähigen Vernetzung von Entwicklung, Beschaffung, Planung, Fertigung und Logistik in einer Smart Factory auch kurzfristige, kundenspezifische Änderungen dynamisch während der Produktion berücksichtigen.

Prof. Dr. Carsten Feldmann und sein Kollege Prof. Dr. Ralf Ziegenbein kommen mit Blick auf das Modell zu folgender Schlussfolgerung: „[…] die Frage lautet nicht „Lean oder Digitalisierung?“. Vielmehr ist eine Antwort darauf zu finden, wie sich Lean und Digitalisierung zum Erreichen betriebswirtschaftlicher Ziele intelligent kombinieren lassen. Der Begriff „Digital Lean“ bezeichnet dabei die Fähigkeit eines Wertschöpfungssystems, digitale Technologien in einer Art und Weise einzusetzen, dass der Reifegrad der Lean-Prinzipien in den Geschäftsprozessen erhöht wird.“ [5]

Maximale Kundenorientierung in Fertigungsprozessen wird die Zukunft sein

Das zeigt auch das Beispiel der Firma Balerina-Küchen. Der Küchenbauer stellt in der Vorfertigung auf Losgröße 1 um. Das bedeutet, dass das Unternehmen die Bauteilefertigung fit machen will, um eine einzige Stückzahl zu produzieren. Denn der Kunde wünscht seine Küche heute einzigartig, individuell und auf Maß. Serienproduktion adé. Für die notwendigen Umrüstungen in Sachen Lager, Maschinen und EDV plant das Unternehmen in den nächsten drei Jahren eine Investitionssumme von 16 Millionen Euro in die Hand zu nehmen. [6]

Digital Lean ermöglicht eine solche maximale Kundenorientierung in Fertigungsprozessen (Stückzahl 1). Das bedeutet aber folgerichtig, dass die Zahl an Produktionsaktivitäten und Einstellungen steigt, was wiederum eine Dateninflation verursacht. Es existieren mehr Daten und Varianten und dadurch automatisch mehr Datenquellen und Datentöpfe. Neben der Bewältigung dieser neuen Datenmengen, gibt es zukünftig zusätzlich die Herausforderung, dass die vorhandenen Systeme an die neuen Anforderungen des Digital Leans (Bsp. Produktion Stückzahl 1) angepasst werden müssen (sofern dies überhaupt abbildbar ist). Aus diesem Grund sieht Prof Dr. Carsten Feldmann hier eine Herausforderung in dem Fit des „Digital Lean“ zu bestehenden Lösungen und dem hohen Investitionsvolumen (vgl. Die aufgelisteten Nachteile in Abbildung 2).

Passen die vorhandenen Systeme zu Digital Lean?

Heute sind eine Vielzahl von unterschiedlichen EDV-Systemen in Produktionsunternehmen vorhanden. Insbesondere ERP-Systeme haben sich in der Vergangenheit als zentrale Planungs- und Steuerungsinstanz auf der Unternehmensleitebene bewährt. Sie können die Brücke bis in eine detaillierte Fertigungssteuerung jedoch oft nicht schlagen, da sie meist auf einer Logik veralteter Materialwirtschafts- und Materialplanungsprozesse (MRPII) [7] basieren. Dieses sukzessive Planungskonzept unterstellt vereinfachend eine konstante Bearbeitungszeit und zunächst unbegrenzte Kapazitäten der Ressourcen. Es überprüft erst im zweiten Schritt, ob die erzeugten Pläne unter Kapazitätsgesichtspunkten zulässig sind. Aufgrund der Vereinfachungen weicht die Planung dadurch regelmäßig relativ deutlich von der Realität ab. Iterative Planungsläufe, wie bei ERP derzeit durchaus üblich, erschweren eine durchgängige Echtzeitfähigkeit. [8]

Aktuell ist nicht davon auszugehen, dass die Defizite von ERP-Systemen in Hinblick auf Industrie 4.0 kurzfristig beseitigen lassen. Die Umstellung eines ERP-Systems auf neuere Logik hätte ggf. tiefgreifende Auswirkungen auf Datenmodelle und Architektur, was ein Redesign der Software oder eine harte Migration erforderlich machen würde.

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Vor diesem Hintergrund glauben wir, dass die Digitalisierung der Industrie in den nächsten Jahren eine spannende Herausforderung ist.

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[1] https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/lean-production-37983

[2] https://www.cio.de/a/lean-trifft-industrie-4-0,3576476

[3] https://www.bigdata-insider.de/was-ist-eine-smart-factory-a-643838/

[4] http://www.lean-production-expert.de/lean-production/kanban-beschreibung.html

[5] http://www.industrie40-management.de/sites/industrie-management.de/files/img-produktionssysteme/feldmann_Digital%20Lean%20%E2%80%93%20Mit-dem-Crossroads-Modell-zu-mehrEffizienz_IM-2018-5.pdf

[6] https://www.ballerina.de/media/config/media/content/downloads/pressemeldungen/ballerina_-_inside_1036_vom_23.02.2018.pdf

[7] http://www.enzyklopaedie-der-wirtschaftsinformatik.de/lexikon/informationssysteme/Sektorspezifische-Anwendungssysteme/MRP-II/index.html

[8] http://www.erp-area.com/2015/06/27/erp-oder-mes-wer-fuehrt-bei-industrie-4-0-das-zepter/

Autor:in

David hat als Manager Product Strategy d.velop Labs bei der d.velop gearbeitet.

David Schonebeck Ehemaliger Manager Product Strategy d.velop Labs d.velop