„Wir Deutschen sind ein Volk von Bedenkenträgern, durchleben kaum einen Tag ohne Existenzangst und hassen Veränderungen.“ So beschreibt Harald Czycholl in einem Artikel der Welt das Phänomen der GERMAN ANGST. Auch wenn sich sicherlich Lebenssituationen finden ließen, in denen die beschriebenen Charaktereigenschaften förderlich sein können, so hindern sie Deutschland im Bereich der Digitalisierung. Obwohl sich die Wahrnehmung für den digitalen Wandel in den letzten 12 Monaten extrem geschärft hat, drücken sich immer noch viele Unternehmen vor den anstehenden Aufgaben.
Um den Gründen der deutschen Zurückhaltung auf den Grund zu gehen, haben wir mit fünf bekannten Digitalisierungsexperten gesprochen. Alle werden fast täglich mit Bedenken, Ängsten und Einwänden gegenüber der Digitalisierung konfrontiert. Wir haben die fünf gebeten, uns zu verraten, mit welchen Ausreden sich Unternehmen vor der Digitalisierung drücken. Wenn auch Sie auf der Suche nach einer passenden Ausrede sind, müssen wir Sie allerdings enttäuschen. Unsere Experten liefern gleich Gegenargumente und beweisen, dass es im Bereich der Digitalisierung keine Ausreden gibt. Für niemanden. Auch nicht für Sie.
Prof. Dr. Tobias Kollmann – Beauftragter Digitale Wirtschaft NRW
Digitalisierung ist doch nur was für die EDV-Abteilung…
Die Tragweite der Digitalisierung wird verkannt. Digitale Veränderungen sind leider kein „technischer Knopf“ in der EDV- oder IT-Abteilung, den man so einfach drücken kann. Es geht vielmehr um „evolutionäre Köpfe“ für digitale Geschäftsprozesse und -modelle in allen Abteilungen. Digitalisierung betrifft das ganze Unternehmen. Doch leider sieht es mit dem zugehörigen digitalen Know-how nicht gut aus. Nur 30 bis 40 Prozent der Arbeitnehmer bezeichnen die Führungskräfte in ihrem Unternehmen als kompetent in Sachen „Digitalisierung“. Mit 60 Prozent gaben die Führungskräfte umgekehrt den „Mangel an qualifizierten Mitarbeitern für die Digitale Transformation“ als größtes Problem an. Entsprechend müssen wir uns massiv um die Weiterbildung der Mitarbeiter für das Thema Digitalisierung im gesamten Unternehmen kümmern! Und eben nicht nur in der EDV-Abteilung…
Christoph Magnussen – Founder & CEO, Blackboat Internet
Digitalisierung erfordert Cloud-Technologien und Cloud geht bei uns nicht. Wegen Datenschutz.
Digitalisierung bedeutet nicht nur, das Geschäftsmodell zu digitalisieren, sondern auch die Zusammenarbeit. Wer seinem Unternehmen dies verwehrt und sich nicht mit neuen Tools, wie eben auch Cloud Infrastruktur, beschäftigt, der verkennt die Kernleistung, die jedes Unternehmen auszeichnet: erfolgreiche Zusammenarbeit. Die Ausrede Datenschutz wird häufig von Bedenkenträgern genutzt, die in allen Ebenen des Unternehmens sitzen. Wenn ich einen Anbieter mit dem besten Tool für Zusammenarbeit auswähle, dann brauche ich natürlich ordentliche Verträge und auch das Vertrauen, dass dieser Anbieter seinen Job (meine Daten sicher zu speichern und ordentlich zu behandeln) gut macht. Es ist schon spannend zu erleben, wie viele Unternehmen glauben, ihren eigenen Server für E-Mails betreiben zu müssen, diese dann aber unverschlüsselt in der Weltgeschichte umherschicken oder den Zugang von unterwegs so verkomplizieren, dass Mitarbeiter WhatsApp nutzen, um Informationen auszutauschen. Das darf nicht sein, denn die Tools sind da und das Versäumnis mangels Wissen auf den Datenschutz zu schieben, ist zu kurz gegriffen.




Jonathan Habicht – TroubleMaker, hquadrat.io
Uns geht es doch (noch) gut, Digitale Transformation brauchen wir nicht
Der Zeitpunkt, an dem Unternehmen die Erkenntnis für die Notwendigkeit digitaler Transformation bekommen, ist von Branche zu Branche unterschiedlich. Die Einsicht, dass sich etwas ändern muss, tritt meist viel zu spät ein und führt dann zu Transformationsprozessen, die von Angst anstatt Weitsicht und eigener Innovationskraft getrieben werden. Die Gefahr der Disruption besteht in jeder Branche. Auch wenn neue Konkurrenten den etablierten Unternehmen zunächst nur sehr geringe Marktanteile abknüpfen können und viele dieser Alternativen als vorübergehende Trends abgestempelt werden, liegt gerade hier die Gefahr. Denn wenn sich die effizientere Leistungserstellung und der bessere Service der neuen Marktteilnehmer in einem sehr kleinen Teil eines Marktes erst einmal bewährt haben, ist der Schritt zu größeren Marktanteilen nur noch eine Frage der Zeit. Meist ist es dann schon zu spät für Unternehmen, um sich aus ihrer abwartenden Haltung zu begeben und selbst aktiv zu werden.
Mario Dönnebrink – Vorstand & COO, d.velop AG
Unser Geschäft läuft doch extrem gut – wir wissen, dass wir das vermutlich irgendwann machen müssen, aber wir haben jetzt keine Zeit dafür!
Dieses Argument ist sehr gut nachvollziehbar. In guten Zeiten eines Unternehmens sind die Personalressourcen ausgelastet. Man arbeitet hart an Produkten, Services oder Projekten, um liefern zu können. Es stellen sich gute Umsätze und Betriebsergebnisse ein – ein denkbar schwieriger Zeitpunkt, um sich auf Zukunftsthemen und notwendige Veränderungen zu fokussieren – außerdem läuft ja alles ganz gut – man hat bestimmt noch Zeit…
In dieser Konstellation wird regelmäßig die Tragweite und strategische Bedeutung des digitalen Wandels verkannt. In der Literatur findet man die folgende Beschreibung der Situation: Es existiert keine operative, handfeste und messbare Unternehmenskrise in Form einer Ertragskrise oder gar Liquiditätskrise, sondern man spricht vom Stadium der strategischen Krise, da eine mögliche und wahrscheinliche Krise in Form von Risiken bereits wahrgenommen werden kann, aber das zeitliche Eintreten noch ungewiss ist. Oftmals werden notwendige Analysen und Entscheidungen in der Folge verschoben oder ausgesetzt. Dabei ist es viel sinnvoller, in guten Zeiten, wenn auch ein Budget für Veränderung geschaffen werden kann, zu handeln und Veränderungen geplant durchzuführen, statt später nur noch panisch zu agieren, eine schwierige und schlechte Umsetzung unter Druck durchzuführen und möglicherweise zu spät zu sein. Der Handlungsspielraum zum Zeitpunkt der strategischen Krise ist erheblich größer.
Die Lösung: Die Risiken müssen identifiziert, die Konsequenzen für das Unternehmen aufgezeigt und es muss ein „sense of urgency“ geschaffen werden. Oftmals stellt sich dabei anhand betriebswirtschaftlicher Analysen heraus, dass in Summe ein größeres Wachstum oder ein geringerer Abschwung erreicht werden kann, wenn bereits frühzeitig gehandelt wird.
Carsten Rossi – Geschäftsführer, Kammann Rossi
Digitalisierung? Unser Team ist noch nicht so weit.
Es gilt, den digitalen Wandel fest im Unternehmen zu verankern. Dabei spielen nicht nur die Unternehmenskultur, sondern auch die Führung eine zentrale Rolle. Viele Führungskräfte kämpfen allerdings mit der Digitalisierung. Veränderung erfordert Fingerspitzengefühl, eine extreme Flexibilität und einen kooperativen Führungsstil. Ein großes Problem ist, dass es viele Führungskräfte nicht schaffen, sich auf diese Rahmenbedingungen einzustellen. Anstatt sich selbst für die Veränderungen zu öffnen, wird das eigene Team als Ausrede vorgeschoben. Denn man könnte ja vom eigenen Team überholt werden. Der Chef hat schlicht Angst, dass die anderen mehr wissen als er und außerdem keine Lust, in die Weiterbildung seiner Mitarbeiter zu investieren.
Das sind sie. Die fünf beliebtesten Digitalisierungsausreden der Deutschen. Von Zuständigkeitsfragen, über Bedenken bei der Cloud bis hin zu fehlender Zeit, Priorisierung und Führung finden sich Ausreden aus den verschiedensten Bereichen. In einem sind sich unsere Experten jedoch einig: Unternehmen müssen Ihre Angst vor der Digitalisierung ablegen. Ansonsten wird aus dem oft ironisch genutzten Idiom der „German Angst“ eine komplett begründete und reelle Existenzangst. Um es in den Worten von Mario Dönnebrink auszudrücken: „Nur Unternehmen, die es schaffen, den immer schnelleren technologischen Fortschritt für sich zu nutzen, werden erfolgreich sein – die anderen werden verschwinden.“