„Put machine learning in the hands of every developer and data scientist.” – so lautete die Forderung des Cloud-Spezialisten Amazon Web Services auf dessen Summit im Juni in Berlin . Gleichzeitig werden dort Tools und Qualifizierungen angeboten, die jeden Teilnehmer in die Lage versetzen, schnell und effektiv mit Daten zu arbeiten und Systeme und Microservices auch ohne Coding nutzen zu können: Man spricht von Builders, anstelle von Entwicklern. Builders sollen auch die Menschen sein, die in den Unternehmen im Business arbeiten – letztlich sollte also jeder in die Lage versetzt werden können, Daten und künstliche Intelligenz zu nutzen.
Ähnliche Strategien trifft man auch bei den anderen großen Anbietern von Cloud-Infrastrukturen und -technologien wieder.
„Put machine learning in the hands of every developer and data scientist”
Klingt erst einmal gut. Mehr Menschen, mehr Output, mehr Ideen. Aber was heißt das denn eigentlich genau, wenn wir weltweit quasi jeden Menschen in die Lage versetzen, derartige Technologien zu nutzen?
Wenn derartige Technologien nicht mehr ausschließlich Großkonzernen nach langer Entwicklungsdauer und aufgrund massiver Investitionen zur Verfügung stehen, sondern wenn jedes Start-up, jedes kleine oder mittelständische Unternehmen oder jeder Student diese Technologien nutzen kann?
Wenn plötzlich in unserem Wirtschaftssystem nicht mehr die Größe und die Erfahrung zählt, sondern die Umsetzung und die Schnelligkeit? Man kann das Potenzial und die Möglichkeiten aber auch die Risiken, die sich hieraus ergeben, nur erahnen. Und man kann auch erahnen, wie kurz die Innovationszyklen sein werden, die zukünftig vor uns liegen.
Was wir erleben, ist die Demokratisierung von Technologie: Jeder kann sie nutzen, jeder spielt mit, jeder kann sie beeinflussen.
Apropos „jeder“: Das heißt dann ja auch, dass wir – also Sie und ich, unsere Kunden, ihre Kunden, unsere Lösungspartner, unsere Technologiepartner und unsere Kooperationspartner im Umfeld Content Management und darüber hinaus da mitspielen können. Und genau jetzt wird es spannend!
Künstliche Intelligenz heute: Maschinen sind in bestimmten Umgebungen und bei bestimmten Anforderungen besser als menschliche Experten
„Was hat denn jetzt Künstliche Intelligenz und Machine Learning mit Content Management zu tun?“, fragen Sie sich?
Eine Menge sage ich. Aber schön der Reihe nach.
Die Abgrenzung der Begriffe Künstliche Intelligenz oder Artificial Intelligence von Machine Learning und Deep Learning haben sie im Blogartikel „Alexa – Was ist Künstliche Intelligenz“ bereits lesen können. Aus diesem Grund beziehe ich mich im Folgenden vereinfachend auf Machine Learning.
„Maschinelles Lernen ist ein Oberbegriff für die „künstliche“ Generierung von Wissen aus Erfahrung: Ein künstliches System lernt aus Beispielen und kann diese nach Beendigung der Lernphase verallgemeinern. Das heißt, es werden nicht einfach die Beispiele auswendig gelernt, sondern es „erkennt“ Muster und Gesetzmäßigkeiten in den Lerndaten. So kann das System auch unbekannte Daten beurteilen…“ [1]
Mithilfe dieser Vorgehensweise ist es in der Zwischenzeit gelungen, aus vormals recht dummen Maschinen, wie z.B. Schachcomputern, die von vornherein jede mögliche Kombination kannten und einfach die erfolgreichen ausgewählten, Systeme zu schaffen, die inzwischen nur noch die Regeln eines Spiels erlernen müssen, mit sich selbst trainieren und dann in jedem Spiel, das es gibt, jeden Menschen schlagen. Und es geht weit darüber hinaus:
So sind jüngst große Erfolge auf dem Gebiet der Diagnostik und Befundung erreicht worden. In Heidelberg trainierten Wissenschaftler ein KI-System mit 100.000 Fotos von gesunden Muttermalen und solchen mit dem malignen Melanom sowie der richtigen Befundung (Erfahrung) an. Mit dem hieraus generierten Wissen ließ man anschließend das trainierte System gegen Hautärzte (58 Dermatologen aus 17 Ländern) antreten, indem man Maschine sowie Mensch je 100 Fotos von Muttermalen zur Befundung vorlegte.
Das Ergebnis: Bei 86,6% aller vorliegenden Krebsfälle schlugen die Ärzte Alarm, während die Maschine 95% aller Fälle identifizierte. [2]
Die Beispiele machen uns klar, dass Maschinen unter bestimmten Rahmenbedingungen besser als menschliche Experten sind. Gleichzeitig lässt sich Rechenleistung der Machine fast beliebig skalieren und damit die Geschwindigkeit der getroffenen Entscheidungen und der durchgeführten Aufgaben. Sowohl die Verfügbarkeit, als auch die Skalierung werden wiederum durch den Einsatz von Cloudinfrastrukturen erheblich erhöht. Es gibt quasi keine Engpässe mehr und damit keine Knappheiten – und damit extrem niedrige Preise, die es ermöglichen Machine-Learning-Technologien jedermann zur Verfügung zu stellen.
Genau genommen gibt es somit bei der Analyse großer Datenmengen keine praktischen Grenzen mehr. Dies können Maschinen also viel schneller und besser als wir Menschen.
Und genau da setzen viele neue Geschäftsmodelle an, die auf Machine Learning basieren. Sie heben Mehrwerte aus – aufgrund der Nutzung von Cloudtechnologien in immer größerer Menge zur Verfügung stehenden – Daten. Sie „lesen“ Zusammenhänge, die wir mit unserer „begrenzten menschlichen Rechenleistung“ nicht oder nur mit erheblichem Aufwand erkennen könnten und generieren so Wissen.
Machine Learning im Content Management
Bereits seit vielen Jahren, genau genommen seit 2003, bieten wir bei der d.velop unseren Kunden softwarebasierte Lösungen, welche Machine Learning Modelle auch auf Basis neuronaler Netze nutzen. Diese können unstrukturierten oder semistrukturierten Texten Informationen anhand verschiedener Modelle, darunter auch semantische, erschließen und extrahieren.
So lesen unsere Systeme z.B. Rechnungsdaten aus, plausibilisieren diese und übertragen sie in den Freigabeprozess, welcher dann optimiert oder sogar automatisiert werden kann. Oder unsere Systeme erfassen Bestelldaten und helfen somit bei der Automatisierung der Bestellprozesse unserer Kunden. Früher wurden diese Systeme bei jedem Kunden auf Basis seiner spezifischen Daten neu trainiert – zukünftig werden diese Systeme kundenübergreifend lernen können und somit geringere Einführungsaufwände verursachen, sowie noch schneller bessere Qualitäten erreichen. Langwierige Trainingsiterationen werden erheblich reduziert, wenn nicht gar obsolet.
Die Auswirkungen von Machine Learning auf Content Management gehen aber noch weit darüber hinaus.
Stellen Sie sich zum Beispiel vor, dass Sie auf riesigen Datenmengen sitzen, weil Sie vor einigen Monaten oder Jahren ein ECM-System eingeführt haben. Sämtliche Anfragen sind in diesem zentralen System gespeichert, alle erstellten Angebote und viele andere Dokumentenarten. Alle diese Dokumente sind bereits mit Metadaten versehen, weil Ihre Daten schon bei der Anlage gepflegt werden. Damit sind viele manuelle Trainingsläufe aus Sicht einer KI bereits durchgeführt. Wie wäre es jetzt, wenn Sie zukünftig neu hinzukommende Informationen und Dokumente gar nicht mehr manuell in Ihre Aktenstrukturen ablegen müssten, sondern wenn das ECM-System dies eigenständig lernt? Und zwar aufgrund der Struktur in den bereits manuell verschlagworteten Dokumenten.
Wie wäre es, wenn Ihnen nun ihr „Kollege KI“ aufgrund der Kenntnis von Anfragen, Angeboten und weiteren Daten genau sagen könnte, bei welchem Interessenten- und Anforderungsprofil Sie oder ihre Vertriebskollegen noch nie erfolgreich waren und dass Sie somit in Zukunft vielleicht besser Ihre Finger davon lassen sollten, oder „Kollege KI“ Ihnen sagen kann, warum diese Fälle erfolglos waren?
Oder wenn „Kollege KI“ Ihnen sagen könnte, welchem Interessenten oder Kunden Ihre Vertriebskollegen am meisten Aufmerksamkeit schenken sollten, weil Anforderungen, Rahmenbedingungen und Lösungsportfolio besonders gut zueinander passen?
Wenn Ihr ECM-System Ihnen morgens schon vorschlägt, um welche Aufgaben sie sich vorrangig kümmern sollten? Ihnen bei der Suche im ECM-System anzeigt, was andere Nutzer in diesem Kontext gesucht haben und was sie im Umkehrschluss vermutlich brennend interessiert?
Sie wären von vielen zeitraubenden, lästigen und ineffizienten Aufgaben befreit und könnten sich endlich um die wichtigen Dinge kümmern. Die kreativen Dinge. Die Dinge, die Spaß machen. Um ihre Kernkompetenzen und um ihre Kunden.
Wir von der d.velop AG, können unseren Kunden bereits jetzt mehr und mehr Leistungen anbieten, die sie um dedizierte Aufgaben entlasten. Nicht nur bei den verwaltungsnahen Prozessen, auch bei den Kernprozessen. Und mittels des cloudbasierten Tools d.velop metrics analyzer können wir diese Prozesse mittlerweile falls gewünscht überwachen und so eine optimale Performance und vorausschauende Vermeidung von Problemsituationen realisieren. Auch in diesem Umfeld können wir zukünftig durch den Einsatz von Machine Learning weitere Leistungssteigerungen erreichen. Zum Beispiel in dem wir Ressourcenbedarf und auftretende Problemfälle exakter voraussagen.
Ich denke, diese Aufzählung und Erläuterung nur einiger Beispiele für den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Content Management macht deutlich, wie viele Möglichkeiten und Potenziale sich mithilfe dieser Technologie bieten und erschließen lassen.
Wir sitzen in Deutschland auf einem „Datenschatz“
Einsatz von KI und Machine Learning. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass diese Möglichkeiten in sehr naher Zukunft erschlossen werden. Dabei werden sehr viele gute Dinge realisiert werden, wie zum Beispiel bessere medizinische Diagnostik und Versorgung. Wir werden aber sicherlich auch auf Herausforderungen treffen, wenn es darum geht, zu entscheiden, wie viel Entscheidungskompetenz und welche Aufgaben wir Menschen in die Hände von KI-Systemen legen möchten.
Was diese Frage angeht, werden wir sehr schnell auf wichtige gesellschaftlichen, ethischen und moralischen Fragestellungen stoßen.
Ich würde mir deshalb wünschen – und in Anbetracht des bevorstehenden Weihnachtsfestes landet dieser Wunsch jetzt auf Platz 1 meines Wunschzettels – dass wir gemeinsam in Deutschland diese Möglichkeiten schneller nutzen als bisher, um unseren Wirtschaftsstandort zukunftsfähig zu machen. Dass wir gemeinsam Kompetenzen auf dem Gebiet der KI aufbauen und dann gemeinsam lernen Potenziale zu heben und Risiken zu erkennen und zu vermeiden. Nur dann nämlich können wir international mitreden, mitverhandeln und unsere Zukunft mitgestalten.
Laut des Open Data Maturity in Europe Reports nehmen wir im europäischen Vergleich eine absolute Vorreiterrolle ein, was die Qualität der Daten betrifft. [1] In Deutschland verfügen wir also über ein großes Maß an gut „trainierten“ hochqualitativen Daten, weil kategorisierten, mit Erfahrung versehenen Daten aufgrund unserer relativ stark ausgeprägten Regulatorik, die es erfordert Daten in einem höheren Maß, als anderenorts z.B. in ECM-Systemen zu speichern und aufgrund unserer bereits in hohem Maß automatisierten Produktionsstrukturen, die ebenfalls große Datenmengen verursachen.
Ergebnisse des Reports haben wir in der nachfolgenden Übersicht abgebildet. [Zur weiteren Information: https://www.europeandataportal.eu/en/dashboard#2018]
Da wir im Industrieland Deutschland nun auf einem wahren Schatz an „neuen Rohstoffen“, nämlich an bereits trainierten Daten sitzen, haben wir gerade in Deutschland enorme Chancen, diese Kompetenzen zu erlangen und somit enormes „KI-Wissen“ zu generieren. Wir müssen nur jetzt anfangen, investieren und schnell sein.
Ich persönlich bin überzeugt davon, dass durch den Einsatz dieser Technologien große Produktivitätssteigerungen und erhebliches Wohlstandswachstum möglich sind. Und – bleiben wir bei den Beispielen in unseren ECM-Lösungen – ich freue mich auf meinen neuen „Kollegen KI“.
Quellenangaben:
[1] Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Maschinelles_Lernen
[2] Die Zeit: https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2018-11/bilderkennung-kuenstliche-intelligenz-gesundheit-arzt-diagnose-smart-devices