Was ist GAIA-X? Einblicke in die „Europäische Cloud“

Veröffentlicht 22.01.2021

Martin Testrot Senior Software Architect d.velop

Beitragsbild gaia x cloud

Schon die Headline dieses Blogartikels ist genau genommen nicht ganz korrekt. Denn bei dem Projekt GAIA-X, das seit Monaten in Medien, Fachkreisen und Politik thematisiert wird, handelt es sich gemäß den Initiatoren eben nicht um eine „europäische Cloud“. Mit diesem und anderen Missverständnissen räumen wir in den nächsten Minuten auf.

GAIA-X Cloud: Cloud oder nicht Cloud, das ist hier die Frage

Mit GAIA-X entwickeln Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft aus zunächst Frankreich und Deutschland gemeinsam mit mittlerweile weiteren europäischen Partnern einen Vorschlag zur Gestaltung einer gemeinsamen Dateninfrastruktur für Europa. Ziel ist eine sichere und vernetzte Dateninfrastruktur, die den höchsten Ansprüchen an digitale Souveränität genügt und Innovationen fördert. In einem offenen und transparenten digitalen Ökosystem sollen Daten und Dienste verfügbar gemacht, zusammengeführt und vertrauensvoll geteilt werden können.

GAIA-X ist keine technologische Cloud-Plattform, kein europäischer Cloud-Provider. Durch die Umsetzung von GAIA-X soll kein Konkurrenzprodukt zu bereits existierenden Angeboten (zum Beispiel von sogenannten Hyperscalern wie AWS oder Azure) geschaffen werden. Vielmehr sollen durch GAIA-X verschiedene Elemente über offene Schnittstellen und Standards miteinander vernetzt werden, um Daten zu verknüpfen und eine Innovationsplattform zu schaffen.

Was ist das Ziel von GAIA-X?

Die Ziele von Projekt GAIA-X sind mit Datensicherheit, Datensouveränität und Portabilität der Daten und Dienste gemäß europäischer Werte hoch gesteckt. In der Idealvorstellung von GAIA-X sucht man sich als Unternehmen den Anbieter seines Dienstes nach Kriterien wie Firmensitz, Standort des Rechenzentrums, Erfüllung regulatorischer Rahmenbedingungen (z.B. DSGVO), usw. über einen globalen Katalog aus und wechselt diesen ganz einfach, wenn man beispielsweise mit dem Anbieter nicht mehr zufrieden ist. Ganz ohne Vendor Lock-in. Zumindest lautet so die Vision von GAIA-X.

So gesehen soll GAIA-X also quasi als föderierter Service fungieren.

Föderierte Dienste bieten einen Mehrwert, wenn sie gemeinsame Standards für Transparenz und Interoperabilität beinhalten. GAIA-X leistet hierbei einen wertvollen Beitrag und bietet Unternehmen den Rahmen, um sich aufeinander abzustimmen. Schließlich müssen viele Player unter einen Hut gebracht werden, wie z.B. Anbieter von

  • Rechenzentren,
  • Cloudlösungen,
  • High Performance Computing (HPC) und
  • sektorspezifischen Cloud- und Edge-Systemen.

Dafür werden benutzerfreundliche Services entwickelt, die es ermöglichen, Anbieter zu identifizieren und unterschiedliche Angebote miteinander zu kombinieren.

GAIA-X beschreibt die technischen Rahmenbedingungen, die nötig sind, um den Betrieb des GAIA-X-Ökosystems sicherzustellen. Die Konzeption folgt dabei den Prinzipien von Security by Design und Privacy by Design, um höchste Sicherheitsanforderungen und den Schutz der Privatsphäre zu gewährleisten.

Wie sieht GAIA-X in der Praxis aus?

Im November 2020 fand der GAIA-X Summit mit zeitweise 1.000 Teilnehmern als Online-Event statt.

Der erste Tag war geprägt von begeisterten Rednern aus den Sektoren Finance und Insurance, Mobility, Healthcare, Industry 4.0, Energy und Aerospace, die jeweils vorstellen konnten, welche wirklich sinnvollen Anwendungsfälle möglich sind, sobald GAIA-X einmal Realität geworden ist. Auch das Thema Dokumentenmanagement und Contentmanagement hat hier einen hohen Stellenwert. Aber schauen wir einmal hinter die Kulissen:

Das Ganze ist hierarchisch aufgebaut. So wäre beispielsweise ein KI-Dienst denkbar, der wiederum auf einem Kubernetes-Dienst aufbaut, der in Linux VMs auf Hardware läuft, dessen Stahl von Thyssenkrupp kommt (OK, das mit dem Stahl ist übertrieben). Über die gesamte Dienstkette ist nachvollziehbar, welche (regulatorischen) Rahmenbedingungen gewährleistet und ggf. auch zertifiziert sind.

All dies soll durch die Vereinbarung und Einhaltung von Standards gewährleistet werden. Standards für Datenschutz und sonstige regulatorische Aspekte, Standards und Ontologien für den Datenaustausch, Infrastrukturstandards, Standards für Dienste usw.

Wichtig war den Beteiligten dabei immer wieder, dass man hier das Rad nicht neu erfinden will, sondern sich existierender Standards und vor allem bestehender Open-Source-Lösungen bedienen will.

Cloudbasiertes Dokumentenmanagement einfach erklärt.

Was ist mit den Hyperscalern?

Häufig wurde GAIA-X nachgesagt, das Konzept sei rein europäisch fokussiert und würde eine eigene Cloud-Instanz aufbauen wollen. Vorangehend haben wir bereits erwähnt, dass dies nicht der Fall ist. Im Gegenteil. Die Einbindung der etablierten Cloud- und Plattformanbieter als GAIA-X Unternehmen ist sogar elementarer Bestandteil der Strategie. So kamen dann im Rahmen des GAIA-X Summit auch eben diese CSPs (Cloud Service Provider) zu Wort.

Unternehmen wie Google, Microsoft, AWS, IBM, OVH und T-Systems legten dar, wie sie sich einbringen wollen. Dabei haben alle betont, dass ihnen nichts wichtiger ist, als die Einhaltung der europäischen Werte und dass sie GAIA-X aus vollster Überzeugung unterstützen. Es bleibt abzuwarten, wie konsequent die „Großen“ der Branche gewillt sind, den Weg der Multicloud mitzugehen. Diese Herangehensweise, anwendungs- und lösungsorientiert zu entscheiden und nicht die Wahl vom Anbieter abhängig zu machen, käme der Vision von GAIA-X definitiv recht nahe. Sofern sich alle an dieselben, noch zu schaffenden, Standards halten.

Fazit: Mehr als nur gut gemeint

Eine gesunde Skepsis ob dieser hohen Ziele und teilweise groben technischen Vereinfachungen liegt sicherlich nahe. Gerade was den einfachen Wechsel des Dienstanbieters angeht, dürfen wir gespannt sein. Bis es eine Liste von GAIA-X Unternehmen gibt, welche die noch zu etablierenden Standards erfüllen, aus denen dann Organisationen auswählen können, ist es noch ein langer Weg. Dennoch lässt sich festhalten, dass sich eine große Anzahl von Firmen und Institutionen längst zu GAIA-X bekannt und öffentlich positioniert hat. Das Potenzial ist da, eine eigene Foundation bereits gegründet und strategisch aktiv. Somit ist GAIA-X schon jetzt weit mehr als nur eine fixe Idee einiger Minister.