Um die Möglichkeiten der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen zu verbessern, wurde im Dezember 2016 nach jahrelanger Bearbeitung das Bundesteilhabegesetz (BTHG) verabschiedet. Das BTHG wird auch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen genannt. Es soll gemeinsam mit den Menschen mit Behinderungen gesprochen werden und nicht nur über sie.
Wie das Gesetz im Detail aussieht, was insbesondere die 3. Reformstufe umfasst, die seit Anfang 2020 gilt, und welche Auswirkungen das auf die Verwaltungsstrukturen der Leistungserbringer hat, verdeutlicht dieser Blogartikel.
Was ist das Bundesteilhabegesetz – kurz BTHG
Das BTHG ist seit dem 29.Dezember 2016 veröffentlicht und tritt in vier Reformstufen auf, die von 2017 bis 2023 umgesetzt werden. Das Gesetz revolutioniert das Sozial- und Rehabilitationsrecht und verfolgt dabei verschiedene Ziele, die alle darauf einzahlen Menschen mit Behinderungen in ihrem Leben zu mehr Selbstbestimmung zu verhelfen. Mit Verabschiedung des BTHG soll die deutsche Rechtsprechung verstärkt an die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) angelehnt werden.
Die wichtigsten Inhalte des BTHG im Überblick
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat 2016 aufgezeigt, welche Maßnahmen durch das BTHG gefordert sind, um auf die verschiedenen Ziele diese einzuzahlen.
Die schrittweise Umsetzung des BTHG
Das Bundesteilhabegesetz tritt in vier Stufen in Kraft. Das Gesetz wurde Ende 2016 verabschiedet mit einer Stufenweisen Realisierung von 2017 bis 2023. Durch die Stufen werden umfangreiche Änderungen im Recht der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung nach dem SGB IX umgesetzt.
Reformstufe 1 (01.01.2017 und 01.04.2017) – Bundesteilhabegesetz 2017
Die Umsetzung des Bundesteilhabgesetzes startete mit Änderungen im Schwerbehindertenrecht und Verbesserungen in der Einkommens- und Vermögensheranziehung sowie der Verdoppelung des Arbeitsförderungsgeldes von 26 Euro auf 52 Euro. Ebenso gab es eine Erhöhung des Schonvermögens für Bezieher von SGB XII-Leistungen von 2.600 Euro auf 5.000 Euro.
Reformstufe 2 (01.01.2018) – Bundesteilhabegesetz 2018
Einführung SGB IX, Teil 1 (Verfahrensrecht) und 3 (Schwerbehindertenrecht) und die vorgezogenen Verbesserungen im Bereich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Eingliederungshilfe (im SGB XII).
Reformstufe 3 (01.01.2020) – Bundesteilhabegesetz 2020
Mit der Umsetzung der dritten Reformstufe gibt es umfangreiche Änderungen in der Sozialverwaltung. Menschen mit Behinderung hatten bisher die Herausforderung, dass die Leistungsträger keine einheitliche Bedarfsplanung für sie hatten. Es gab keine klaren Zuständigkeitsregelungen, was häufig zu langen Bearbeitungszeiten, schleppenden Absprachen und auch zu Mehrfachbegutachtungen zwischen den Trägern geführt hat. Dieser organisatorische Aufwand ging nicht nur zu Lasten der Betroffenen, sondern ebenso zu Lasten der erbrachten Leistungen und deren Erfolg.
Um dies zu verbessern, sieht das Bundesteilhabegesetz 2020 eine Ausgliederung der Eingliederungshilfe aus dem Sozialhilferecht (SGB XII) in den Teil des SGB IX (EGHneu) vor. Ziel ist es, den Menschen mit Behinderung eine einfache Unterstützung zukommen zu lassen, ohne den Verwaltungsakt von Anträgen unnötig zu verkomplizieren. Die Ausrichtung der Eingliederungshilfe erfolgt dabei personenorientiert. Dazu tritt die Eingliederungshilfe nach SGB IX, Teil 2 am 01.01.2020 in Kraft, wobei einige Teile bereits auf 2018 vorgezogen wurden. Das sind die Bestimmungen der zuständigen Träger der Eingliederungshilfe nach § 94 Abs. 1 SGB IX und das Vertragsrecht, welches in Kapitel 8- Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX)geregelt ist.
Wie sieht das in der Praxis aus?
In der Praxis bedeutet es, dass Menschen mit Behinderung die Unterstützung aus einer Hand erhalten sollen. Somit übernimmt nur ein Leistungsträger bei übergreifenden Teilhabeleistungen die Zuständigkeit. Dieser Leistungsträger leitet dann für den jeweiligen Klienten das Teilhabeplanverfahren. Von der Einleitung, über die Durchführung, bis hin zur erforderlichen Begutachtung und Dokumentation jeglicher Leistungen ist der Leistungsträger verantwortlich. Somit ist gewährleistet, dass alle Leistungen, auch trägerübergreifend, aus einer Hand erfolgen. Das Teilhabeplanverfahren betrachtet jeden Menschen mit Behinderung im Einzelnen, um die Leistungen passend für seinen Bedarf festzulegen.
Die neue Regelung der Eingliederungshilfe und insbesondere des Teilhabeplanverfahrens soll eine Verbesserung der Steuerung, Wirkung, Bewertung, Kontrolle und Dokumentation aller Leistungen für einen Menschen mit Behinderung erzielen. Es findet somit eine Umverteilung der Organisation und des Verwaltungsaktes statt. Der organisatorische Aufwand wird nun von dem zuständigen Leistungsträger übernommen. Dieser muss die Leistungen personenzentriert bereitstellen und nicht mehr wie bisher institutionenzentriert.
Digitale Akten als Lösung für einen personenzentrierten Überblick
Das Ziel des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) ist es, die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen durch mehr Teilhabe an der Gesellschaft, mehr Selbstbestimmung und mehr Möglichkeiten zur individuellen Lebensführung zu verbessern. Mit der neuen Ausrichtung verändern sich viele Prozesse und Abläufe in sozialen Einrichtungen grundlegend. So benötigen Sie zum Beispiel eine vollständige Übersicht aller individuellen Leistungen für alle Bewohner und Klienten – auf einen Blick und einrichtungsübergreifend.
Für alle Beteiligten (Leistungsträger, Leistungserbringer und Leistungsberechtigten) bedeutet dies vor allem ein erhöhtes Papier- und Dokumentenaufkommen. Eine digitale Klienten- und Bewohnerakte kann dabei eine sehr große Entlastung sein und die Umsetzung des BTHG in den sozialen Einrichtungen erleichtern. Sie bietet einen direkten und schnellen Überblick über alle Maßnahmen, Leistungen und begleitende Dokumente (Versicherungsnachweise, Verträge etc.) jedes einzelnen Klienten und kann auch einrichtungsübergreifend eingesetzt werden. Außerdem erfolgt die revisionssichere Archivierung der Dokumente automatisch im Hintergrund.
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Personenzentierung: wie Sie die 3. Stufe des BTHG mit digitaler Unterstützung erfolgreich umsetzen.
Reformstufe 4 (01.01.2023) – Bundesteilhabegesetz 2023
In der vierten und letzten Stufe findet eine Änderung der leistungsberechtigten Personenkreise in der Eingliederungshilfe statt. Die Neuregelung ist auf Basis des §99 SGB IX ab dem 01.01.2023 definiert.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat in der folgenden Grafik kurz die Reformstufen und die wichtigsten Änderungen dargestellt.

Kritik am Bundesteilhabegesetz
Das Bundesteilhabegesetz sorgt bei vielen Leistungsträgern und -erbringern für Verunsicherung. Bringt das Gesetz die lang ersehnten Verbesserungen oder ist es doch nur eine Täuschung?
Kritiker des Gesetzes bemängeln beispielsweise, dass der leistungsberechtigte Personenkreis in der Eingliederungshilfe eingeschränkt werden soll. Des Weiteren steigt die Bevormundung durch Behörden. Durch das Gesetz entsteht ein Sparzwang und der ursprünglich geplante Bürokratieabbau lässt sich nicht realisieren. Ebenso führen verschiedene Maßnahmen, die zur Verbesserung der Klienten führen soll eher zu anderen Problemen. So muss man laut Entwurf in 5 von 9 Lebensbereichen eine Behinderung vorweisen um Hilfe erhalten zu können. Wenn man beispielsweise aufgrund einer Schwerhörigkeit Hilfe im Alltag benötigt, erfüllt man unter Umständen nicht 5 der vorgegebenen Lebensbereiche und kann somit keine Eingliederungshilfe beanspruchen.
Die Anwendung in der täglichen Arbeit wird letztendlich zeigen, ob es gelingt, die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung zu verbessern und die Bürokratie abzubauen.