Thomas Spieker, CDO der Digitalstadt Ahaus, im Interview

Veröffentlicht 13.02.2023

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Thomas Spieker, seit 2019 Chief Digital Officer (CDO) der Stadt Ahaus, gewährte bei den d.velop public sector days 2022 in Berlin einen Einblick hinter die Digitalisierungs-Kulissen der Stadt Ahaus. Die Stadt im westlichen Münsterland zählt mittlerweile 40.000 Einwohner:innen. Die zentrale Frage im Vortrag von Thomas Spieker lautete: Was macht die Stadt Ahaus zu einer Digitalstadt?

Mehr über Thomas Spieker
Thomas Spieker sorgt als CDO der Stadt Ahaus zum einen für die ganzheitliche Digitalisierung der Verwaltung; zum anderen widmet er sich dem Thema Smart City. Bei der Stadt Ahaus gibt es zahlreiche Digitalisierungsvorhaben und Smart City-Projekte, mit denen der CDO täglich zu tun hat.

Die Digitalstadt Ahaus

d.velop: Sie bezeichnen die Stadt Ahaus als Digitalstadt – warum?

Thomas Spieker: Ehrlich gesagt kann ich mir vorstellen, viele denken, warum ist er auch so dreist und nennt sich einfach Digitalstadt. Es gibt es zwei Wahrheiten: Die eine Wahrheit ist ein Softwareunternehmen, welches in Ahaus ansässig ist und seit 35 Jahren die Digitalisierung erfahrbar macht. In der Stadt selbst gibt es viele digitale Showcases. Dies führt dazu, dass die Stadt digital bzw. als Digitalstadt wahrgenommen wird. Die zweite Wahrheit ist, dass das Rathaus, vor allem die Bürgermeisterin, aber auch die Politik und die Verwaltung in der Vergangenheit einige wichtige Entscheidungen getroffen haben. Dies führt dazu, dass die Verwaltung auf einem „durchaus guten Weg“ ist.

Verbesserungsbedarf bei Gesetzen zur digitalen Transformation

d.velop: Gelingt Ihrer Meinung nach durch neue Gesetze die digitale Transformation in der Kommunalverwaltung?

Thomas Spieker: Wenn ich an das Rathaus denke, muss ich ganz ehrlich sagen, sehe ich eine alte Fabrikhalle in einem sehr schlechten Zustand. Ein marodes Gebäude. Die Bausubstanz ist schlecht. Wäre ich Bürger:in, würde ich dort nicht hereingehen wollen. Es lädt nicht wirklich ein.

d.velop: Warum ist das so?

Thomas Spieker: Es sind die Erfahrungen aus den Jahren als CDO und auch aus der Zeit in der Verwaltung. Der Bund und die Länder sind gut darin, Gesetze zu machen. Die Frage ist nur, ob die Gesetze gut sind. Viele von uns haben durch das OZG eine höhere Sensibilität entwickelt. Man weiß mehr über die Digitalisierung, man musste sich auch viel intensiver damit auseinandersetzen. Aber das OZG hat wenig mit Digitalisierung und der digitalen Transformation zu tun. Es schafft immer neue Portale, neue bunte Frontends, wo die Bürger:innen wieder ihre Daten eingeben können. Man schaut überhaupt nicht auf den gesamten Prozess:

  • Wie werden die Daten weiterverarbeitet?
  • Werden sie automatisiert verarbeitet?
  • Gibt es dort eine künstliche Intelligenz oder Automatisierung?

Aber auch die Infrastruktur geht man an dieser Stelle gar nicht an. Ich habe vom OZG 2.0 gehört und ich habe die Befürchtung, das wird nicht unbedingt besser. Wir haben große Probleme damit, einen digitalen Staat zu entwickeln. Denn wir haben keine zentrale ID: Servicekonto NRW, Nutzerkonto Mecklenburg-Vorpommern, Bund-ID kommt nun auch. Das alles ist noch nicht wirklich zu Ende gedacht. Auch die Gesetze, die dahinterstehen, funktionieren in der digitalen Welt leider überhaupt nicht. Und damit gehen natürlich auch die föderalen Strukturen einher. Föderale Strukturen sind sehr gut, weil sie regionale Unterschiede gut abbilden. Aber es muss trotzdem möglich sein, dass man zentrale Vorgaben mindestens auf Landes- oder sogar auf Bundesebene macht. Denn Digitalisierung heißt Standardisierung. Es hängt stark damit zusammen, dass es keine richtige Vision vom Rathaus der Zukunft gibt.

Fehlende übergreifende Vision und Strategie in der Verwaltung

d.velop: Fehlt bei der Digitalisierung der Verwaltung nur die Vision oder auch die Strategie?

Thomas Spieker: Es fehlt an der konkreten Vision und Strategie. Strategie, wie man die Digitalisierung auch im öffentlichen Dienst vorantreiben kann. Digitalminister Wissing hat die Digitalstrategie der Bundesregierung vorgestellt. Er hat ganz zu Beginn gesagt: „Wir wollen keine Visionen aufstellen, wir wollen keine Zielbilder aufstellen, wir wollen konkrete Lösungen. 2025, das ist überübermorgen. Wir wollen die Haushalte und Unternehmen zu 50 % an Glasfaser anschließen.“ Und da habe ich mir gedacht: Das habe ich schon mal gehört. Der nächste Punkt war, Verwaltungsdienstleistungen sollen mithilfe einer digitalen Identität beantragt werden können. Das habe ich auch schon mal gehört. Der dritte Punkt war: Die elektronische Patientenakte soll in 80 % der Fälle genutzt werden. Ich weiß, der Ahauser Gesundheitsminister Jens Spahn hat vor vielen Jahren auch schon darüber gesprochen. Der letzte Punkt ist der Datenschutz: Dieser ist sowohl ein Problem als auch ein Segen. Hier brauchen wir ein Stück Pragmatismus.

Während der Corona-Pandemie hatten wir in Ahaus viele Teststellen, die app-basiert digital betrieben und organisiert wurden. Ein Softwareunternehmen aus Ahaus hat eine Möglichkeit geschaffen, den Personalausweis zu hinterlegen, sprich: ein Foto von seinem Ausweis zu machen. Jedes Mal, wenn man in die Teststelle gefahren ist, hat man sein Smartphone vorgezeigt. Der Ausweis wurde gezeigt und dann konnte man durchfahren und sich testen lassen. Irgendwann hat jemand gemeint, das ginge nicht. Es sei nur ein Foto, das kann irgendjemand gemacht haben. Das verbieten wir. Der Personalausweis muss wieder gezeigt werden, wie bisher. Ganz analog. Ich glaube, man muss sich hier die Frage stellen, wie wahrscheinlich ist es eigentlich, dass jemand meinen Personalausweis stiehlt, dann in der App den Personalausweis hinterlegt, zu einer Teststelle fährt und in meinem Namen einen Test macht. Soll heißen: Angst und Bedenken beherrschen die Diskussion. Davon müssen wir wegkommen.

Einflussnahme von Kommunen auf Gesetze zur Digitalisierung

d.velop: Können die Kommunen die Gesetze und die vorgegebenen Richtungen der Digitalisierung überhaupt beeinflussen?

Thomas Spieker: Wir alle stehen vor einem Berg der Herausforderung. Und wir alle haben die gleichen Probleme, die gleichen Herausforderungen. Viele Dinge, die ich gerade dargelegt habe, können wir auch nur bedingt beeinflussen. Gerade Kommunalverwaltungen hängen sehr stark davon ab, wie Gesetze gemacht werden und was uns zur Verfügung gestellt wird. Und deswegen möchte ich jetzt einen Blick darauf werfen, was wir in Ahaus tun und was wir beeinflussen können.

Wir müssen Strukturen verändern. Ein Beispiel ist auch die Rolle des CDOs, die in Ahaus vor vier Jahren geschaffen und vor drei Jahren das erste Mal besetzt wurde. Man braucht jemanden, der die Digitalisierung übergeordnet betrachtet. Aber auch der Verwaltungsvorstand als Top-Management in einer Kommunalverwaltung braucht digitale Kompetenzen. Es gibt eine:n Stadtplanerin, es gibt eine:n Juristin/Juristen, es gibt vielleicht eine:n Sozialdezernenten, aber in welchem Verwaltungsvorstand gibt es denn eine:n digital kompetente:n Manager:in, der/die alles überblickt, sich auskennt und vielleicht auch Dinge vorantreibt? Habe ich bisher nur in den seltensten Fällen gehört.

Digitalisierungskompetenzen von Verwaltungen

d.velop: Wie digitalisierungsaffin sind heutzutage die Verwaltungen?

Thomas Spieker: Ein wichtiger Punkt sind die Digitalisierungskompetenzen. Die Verwaltungen werden sich fundamental verändern. An dieser Stelle ist wichtig, dass wir darauf vorbereitet werden. Wir müssen unsere Kolleginnen und Kollegen digital kompetenter machen, sie weiterentwickeln. Wir müssen zukünftig digital kompetente Personen einstellen. Gerade Führungskräfte müssen nicht nur fachlich gut, sondern auch digital affin sein. Und damit meine ich jetzt nicht unbedingt die Anwendung von IT, sondern auch das Thema Datenethik, Kommunikationsfähigkeit in einer digitalisierten Arbeitswelt, persönliche Kompetenzen, die es dazu braucht und noch vieles mehr. Das Problem ist die Kultur und der Blick auf die Prozesse. Die NASA hat einen Meteoriten abgeschossen. Da werden wir wohl Verwaltungsdigitalisierung können. Das Problem liegt nicht in der Technik. Das Mindset der Menschen in der Verwaltung muss sich grundlegend verändern.

Release often, Release early ist ein Leitsatz der Softwareentwicklung. Diese Hands-on-Mentalität müssen auch wir reinbekommen. Aktuell generieren wir reale Testfälle und entwickeln die Software stetig weiter. Wir in der Verwaltung denken, wir müssen zuerst alle Bedenken ausräumen und dann können wir es veröffentlichen. Das wird in einer digitalen Verwaltung nicht funktionieren.

Die Rolle des CDOs

d.velop: Welche Rolle spielt dabei der Chief Digital Officer in einer Verwaltung?

Thomas Spieker: Die Rolle des CDOs kann ich nur empfehlen. Nicht nur aus den eigenen Erfahrungen, sondern auch aus den Entwicklungen, die es in Ahaus gegeben hat. Die Rolle des CDOs muss in jeder Kommune besetzt sein. Ob sie CDO heißt oder Digitalisierungsbeauftragter, das ist nicht so wichtig. Die Aufgabe? Koordinieren und die wichtigen Fachleute zu den unterschiedlichsten Themen zusammenbringen. Das C in CDO steht auch für Chief. Das heißt, ein CDO muss auch die Möglichkeit haben, Entscheidungen zu treffen, voranzugehen und die angesprochene Digitalisierungsstrategie auch durchzusetzen. Auch, was die Organisation und Struktur angeht: Diese Position muss in der Verwaltung ein Gewicht haben. Sie muss nah bei der Bürgermeisterin bzw. beim Bürgermeister sein, beim Verwaltungsvorstand – ganz nah bei der Politik. Wenn wir in der Verwaltung die Organisation soweit digitalisiert haben, also das Mindset und den Kulturwandel abgeschlossen haben, dann schafft sich der CDO ein Stück weit auch selbst ab. Denn dann macht es einfach jede und jeder und es braucht dann keinen Anstoß mehr von außen.

Digitalisierung bei der Digitalstadt Ahaus

d.velop: Wie gehen Sie bei der Stadt Ahaus konkret an die Digitalisierung heran?

Thomas Spieker: Die Digitalisierung ist eine riesige Aufgabe. Wir haben ganz viele einzelne Bausteine. Doch es muss auch jemanden geben, der das nachher wieder zusammensetzt. Seit 2018 haben wir in Ahaus eine Digitalisierungsstrategie. Sie enthält ein grundsätzliches Statement: Wir haben uns überlegt, was wir konkret unter der Digitalisierung verstehen und welchen Mehrwert wir für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt schaffen wollen. Es geht darum, moderne Technologien und moderne Dienstleistungen zu erbringen. Es gibt konkrete Ziele, die dort genannt wurden: Moderne Dienstleistung. Als Stadt wollen wir für Touristen und Touristinnen attraktiv sein; aber auch ein moderner Arbeitgeber sein. Dort gibt es insgesamt vier Handlungsfelder, die wir konkret festgelegt haben. Sie beziehen sich bewusst stark auch auf die Verwaltung:

  1. eAkte
  2. Online-Dienstleistungen (eGovernment)
  3. Change Management (als begleitender Baustein)
  4. Prozess- und Wissensmanagement (als begleitender Baustein)

Die erste eAkte wurde in Ahaus 2007 im Steuerbereich eingeführt. Aktuell ist die Stadt Ahaus dabei, die Bauakte komplett digital abzubilden. Die Stadtplanungsakte und die Elternbeitragsakte sind gerade flächendeckend abgeschlossen. Der Aktenplan ebenfalls.

Ich betone: Es geht hier nicht um Akten, sondern darum, dass wir unsere Daten ohne Medienbrüche und digital weiterverarbeiten. Wir müssen uns vom Gedankengut her komplett vom Papier trennen. Wir müssen komplett von der Struktur einer Akte wegkommen – dafür dienen Workflows. Einzelne Workflows sind schon jetzt im Einsatz. Das sind ad hoc Workflows, solche im Bereich Dienstreise, Reisekosten oder auch beim On- und Offboarding. Denn die Daten, die wir erhalten, wollen wir direkt weiterverarbeiten.

Prozessdigitalisierung & eAkte:​ Potenziale erkennen am Beispiel​ eines Bestellvorgangs

Der nächste Schritt ist die Vernetzung: Der Bürger erhält direkt bei Antragseingang die Statusmitteilung, die Daten werden automatisiert verarbeitet und auch eine direkte bidirektionale Kommunikation wird somit ermöglicht. Im Bereich E-Government setzt die Stadt Ahaus Online-Anträge ein. Beim Thema Formularserver sind wir ebenfalls sehr aktiv: Wir haben schon immer ganz bewusst versucht, die minimalste Menge an Daten einzugeben, um den Weg für die Bürger:innen so einfach wie möglich zu machen.

Mit 40.000 Einwohnern:innen und knapp 250 bis 300 Kollegen:innen im Rathaus ist Ahaus eine verhältnismäßig kleine Kommune. Wir haben nicht die Ressourcen und die Zeit, jede einzelne Dienstleistung selbst zu entwickeln. Deswegen setzen wir auch auf EfA-Leistungen. Und genauso ist das beim Thema Portale: Das Wirtschaftsserviceportal und das Beteiligungsportal in Nordrhein-Westfalen haben wir bereits im Einsatz. Weitere werden folgen, wie zum Beispiel das Bauportal. Wir wollen Mehrwerte für die Bürger:innen sowie Unternehmen in der Stadt schaffen und ein Bürgerserviceportal einrichten. Dort können wir bidirektional direkt mit den Bürgern:innen kommunizieren bzw. die Bürger:innen mit uns.

Die Relevanz von Change-Management

d.velop: Warum ist das Thema Change-Management in Zeiten der Digitalisierung so wichtig?

Thomas Spieker: Wir in Ahaus wollen Zeichen setzen, die auch ein Stück weit für den Kulturwandel stehen. Seit etwa zwei Jahren haben wir Digitallotsen. Aktuell sind es insgesamt 25 Digitallotsen, die zunächst ausgebildet wurden. Das heißt, sie haben in einer Fortbildung einen Crashkurs im Bereich Digitalisierung, Change-Management, Prozessmanagement bekommen. Sie tauschen sich regelmäßig mit mir aus. Sie unterstützen die Kolleginnen und Kollegen bei diesem Berg an Herausforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung und arbeiten ganz konkret an Projekten mit. Im Idealfall werden wir einfach alle Digitallotsen oder bilden alle Digitallotsen aus. Gemeinsam mit den Digitallotsen entwickeln wir Fortbildungskonzepte: Wir bieten Workshops, Videos und Tutorials an. Auch schulen wir unsere Führungskräfte. Diese haben an Workshops zum Thema digitalisierte Arbeitswelt teilgenommen und sind gerade dabei, auch eine E-Learning-Plattform einzurichten. Wir bieten auch ein Social Intranet: Denn wir sind als Kommunalverwaltung im Stadtgebiet verstreut. Wir haben Kolleginnen und Kollegen, welche keinen PC-Arbeitsplatz haben. Diese wollen wir in einer Social-Intranet-App miteinander verbinden. Dort wollen wir auch Inhalte anbieten, um Digitalkompetenzen in unserer Verwaltung weiterzubringen. Wir wollen über das Thema Digitalisierung informieren, aber auch über viele andere Themen, die im Verwaltungsalltag interessant sind.

Zusammenarbeit von Fachbereichen

d.velop: Hat sich auch die Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen bei der Stadt Ahaus geändert?

Thomas Spieker: Ja, ein weiteres Projekt ist das Thema Open Space. Ich glaube, der eine oder andere arbeitet im Großraumbüro und kennt das. Ich selbst bin dort auch groß geworden und vermisse es. Denn in Ahaus gibt es noch die klassischen Zellbürostrukturen, wo man immer brav anklopfen muss, wenn man mit jemandem sprechen möchte. Und zufällige Kommunikation gibt es dort gar nicht. Aufgrund eines Raumbedarfs haben wir uns überlegt, ein Open Space einzurichten.

Was ist das Besondere daran? Wir haben uns überlegt, bei welchem Thema gibt es eigentlich mehrere Fachbereiche, die wirklich zusammenarbeiten, die viel enger zusammensitzen müssten, wo vielleicht auch die zufällige Kommunikation eine Rolle spielt? Und da sind wir auf das Thema Schule gekommen. Als Schulträger haben wir fachliche Anforderungen. Wir haben auch IT-Anforderungen in der Schul-ID. Stichwort: Digitalpakt. Und wir haben bei uns in der Immobilienwirtschaft gebäudetechnische Anforderungen. Und diese Fachbereiche werden wir komplett hierarchiefrei vereinen: keine Einzelbüros, sondern alle zusammen auf einer Fläche. Wir haben Workshops durchgeführt und geschaut, wie sie zusammenarbeiten, wie sie allein arbeiten und wie sie das Homeoffice mit Außerhausterminen kombinieren. Derzeit sind wir dabei, eine Fläche zu schaffen, wo die Bereiche künftig gemeinsam zusammenarbeiten und sehr stark auch in Projekten denken sollten; nicht mehr in Fachbereichsstrukturen.

Digitale Lösungen der Stadt Ahaus

d.velop: Welche Lösungen setzen Sie bei der Stadt Ahaus konkret ein?

Thomas Spieker: Wir haben aktuell eine Fundsachen-Versteigerung eingerichtet. Viele kennen das sicherlich aus ihrer eigenen Heimatstadt. Da gibt es am Rathausplatz eine Versteigerung, aber während der Corona-Pandemie war das nicht mehr möglich und wir haben es online gemacht.

Unser digitaler Stadtgutschein ist seit 2019 im Einsatz. Man erhält ihn sowohl in Papierform als auch digital. Was komplett digital ist, ist die Abrechnung im Hintergrund. Diese erfolgt komplett automatisiert.

Wir haben auch ein Matching-Tool. Es wird für Schülerinnen und Schüler eingesetzt, die kurz vor einer Ausbildung oder vor einem Schulabschluss stehen. Die Schüler:innen können in dieser App angeben, was ihre Vorlieben und Interessen sind. Am Ende erhalten sie Unternehmen aus Ahaus aufgelistet, welche sie per Knopfdruck kontaktieren können. Die Daten sind automatisiert hinterlegt: Stichwort zentrale ID. Auf diese Art können sie sich einen Ausbildungsplatz aussuchen.

Wir haben seit ungefähr zwei Jahren ein Ahaus-Quiz. Das findet jeden Abend um 20:40 statt. Zehn Fragen, ca. 1000 Menschen, je nach Gewinn, nehmen jeden Abend daran teil. Der digitale Gutschein kommt von den Einzelhändlern, von den Gastronomiebetrieben und von der lokalen Wirtschaft. Dies ist eine direkte Wirtschaftsförderung, direkte Förderung des lokalen Einzelhandels. Die Gutscheine sind zeitlich befristet: Die Menschen müssen am nächsten oder übernächsten Tag in die Stadt kommen und den Gutschein einlösen.

Auch haben wir mehrere Sharing-Systeme im Einsatz: Bike-Sharing, Ruderboot-Sharing und ein Spielgeräte-Sharing, alles komplett administrationslos. Man nimmt einfach das Smartphone, scannt einen QR-Code ab und das Schloss des Fahrrads oder eines Verleih-Schranks öffnet sich automatisiert. Alles funktioniert ohne großen Aufwand.

d.velop: Wenn Sie könnten, was würden Sie sich wünschen?

Thomas Spieker: Wir haben zu Beginn festgestellt, dass vieles noch nicht ganz so rosig ist. Wir müssen immer darauf drängen, damit sich viele Dinge grundsätzlich verändern, damit wir wirklich die digitale Verwaltung, das Rathaus der Zukunft, eines Tages auch im öffentlichen Dienst erleben. Die zentrale ID ist ein Aspekt, der auch vom Bund und vom Land kommen muss. Das ist einer der zentralen Schlüssel, warum Digitalisierung funktionieren kann. Denn die dargestellten Lösungen funktionieren alle nur so gut, weil sie an eine zentrale ID geknüpft sind. Und das ist nicht nur Authentifizierung, das sind Wallet-Einträge, Payment und Kommunikation. Jeder von uns sollte im Idealfall jeden Tag seine zentrale staatliche ID nutzen, um sich zum Beispiel einen Mietwagen zu leihen, ein Hotel zu buchen, um sich ein Bier in der Kneipe zu holen, aber auch um Verwaltungsleistungen zu beantragen. Nur so wird es zukünftig funktionieren.

Disruption verstehen

Disruption ist ein wichtiger Begriff. Wir müssen alte Prozesse über Bord werfen. Man ist an Recht und Gesetz gebunden. Aber man muss sich überlegen, wie würde eigentlich eine Verwaltung aussehen, wenn ich jetzt den Auftrag bekäme, eine neue Verwaltung aufzubauen. Sie würde garantiert komplett digital funktionieren. Bei allen Veränderungsschmerzen, bei allen Transformationsprozessen, die auch notwendig sind, muss man darüber nachdenken. Die jetzige Verwaltung ergibt keinen Sinn mehr. Sie ist in der Form nicht notwendig. Wir verarbeiten Informationen, dafür haben wir Software, wir versuchen irgendwelche Beiträge oder Leistungen auszurechnen. Wir sollten uns aber vielmehr auf Stadtplanung, Mobilitätsplanung, Klimaschutz und Energie fokussieren. All das sind Themen, worum wir uns eigentlich kümmern müssen. Den Rest, das macht die Digitalisierung, das macht die Software für uns.

Vortrag von Thomas Spieker zur Digitalstadt Ahaus im Video